AUS LIEBE & LEIDENSCHAFT
7. April 2020

So schnell kann es gehen.

Neue Routinen braucht das Land.

Kurz vor halb sechsder Wecker klingelt. Eigentlich beginnt der Tag wie ein ganz durchschnittlicher Wochentag. Wir quälen uns aus dem Bett. Zum Glück zieht gerade der Frühling ein. Die Morgendämmerung ist bereits angebrochen und die Vögel haben ihr morgendliches Konzert schon beendet. Mein Mann verabschiedet sich zur Arbeit.

Bis hierher … so gut so schön. Normalerweise würde ich jetzt die Kinder wecken, säße geschniegelt und gespornt, absprungbereit, wartend auf die Fahrgemeinschaft, die mich nach Magdeburg bringt. Eigentlich …

Seit Neuestemnimmt der Tag an dieser Stelle einen anderen Lauf. Nun ja … ich sitze kurz vor halb sieben immer noch im Nachthemd mit einem dicken Schal eingekuschelt am Küchentisch, trinke Kaffee, habe bereits die ersten Mails gecheckt, stelle meinen Anwesenheitsstatus in unserem neuen digitalen Workspace ein und schaue in meinen Kalender, ob heute ein Termin mit Videokonferenz ansteht. Wichtig!

Gott sei Dank haben meine zwei Söhne jetzt Ferien. Bis letzte Woche habe ich um diese Zeit schon die täglichen Schulaufgaben für zwei Kinder geplant, meinen Mann instruiert was ansteht, die IT startklar gemacht und mich selbst für das Homeoffice geordnet. Die größte Herausforderung – neben einem möglichst konzentrierten Arbeiten – die IT Administration der Familie. Die Kinder bekommen ihre Aufgaben über E-Mail und Videobotschaft. Inzwischen verwalte ich acht Mailadressen, organisiere die digitale Ablage aller Aufgaben in der Cloud, weil es wichtig ist, den fehlenden Drucker damit zu kompensieren, alle Geräte miteinander zu vernetzen und einen multiplen Einsatz aller digitalen Möglichkeiten auszunutzen. Zudem versuche ich die digitale Kompetenz meiner, zum größten Teil sehr technikfernen, Männerwirtschaft zu schulen. Meine Geduld stößt da sehr schnell an die Grenzen.

Inzwischen ist es neun Uhr. Ich habe mich trotz Homeoffice gewaschen, geföhnt und gelegt. Die letzten drei Wochen haben mich gelehrt, dass es trotzdem wichtig ist, einigermaßen geordnet auszusehen. Nicht nur für die Anderen, sondern auch für mich selbst. Schließlich sieht man sich, im Gegensatz zum Üblichen, in einem kleinen Fensterchen selbst.

Zwischen Telefonkonferenz und den anstehenden Aufgaben wecke ich die Kinder und kredenze ein paar Brötchen mit Nutella. Ich selbst bleibe, trotz gesundem Appetit, einzig und allein bei meinem Kaffee, denn diese ständige Esserei würde, nach der ganzen Corona-Sache hier, zu einem bösen Erwachen führen. Danach instruiere ich meinen Großen für die anstehende Nachhilfe per Videokonferenz. Ich muss dabeibleiben, denn Bildschirme hin und herschalten, die Mouse sicher nutzen, die Dateien aus der Cloud auf das große iPad laden, den multifunktionalen digitalen Stift nutzen, die bearbeiteten Dateien wieder in die Cloud laden und zur Kontrolle per E-Mail an den Nachhilfelehrer senden, ist in drei Wochen noch nicht in Fleisch und Blut eines Dreizehnjährigen übergegangen. Ich zweifle an meinen Fähigkeiten als Lehrerin. … Ich lerne etwas über Selbstlaute und Mittlaute und frage mich insgeheim, ob ich das irgendwann in meinem Leben schon mal gebraucht habe. Danach versuche ich meinen Aufgaben auf der Arbeit nachzukommen und die Kinder zu sinnvollen Aktivitäten zu motivieren.

Es geht gegen Mittag. Um mich herum herrscht ein herrliches Stillleben aus einem noch immer gedeckten Frühstückstisch – inmitten der Laptop, Bücher, Notizzettel … .  Die Küchenzeile ist vollgestapelt mit Geschirr vom abendlichen Gelage der Männerwirtschaft. Die Klappe der Spülmaschine steht weit offen und ist immer noch nicht ausgeräumt. Dabei würde das gebrauchte Geschirr auf der Küchenzeile bereits ausreichen, um sie neu zu füllen. An dieser Stelle könnte ich mit einer Beschreibung des Bades weiter machen. Aber davon reden wir mal nicht, es würde zu weit führen und meine Kompetzen als Hausfrau und Mutter in Frage stellen.

Mein Jüngster streckt sich auf der Couch und fragt lieblich nach, ob ich denn schon weiß was wir zum Mittag essen. Angespannt blicke ich auf die Uhr und überlege, was denn auf die Schnelle möglich ist. … Spiegelei mit Brot. Glücklicherweise mögen die Kinder Routinen, dass gilt auch fürs Essen. Hungrig fallen Sie über ihre HO-Schnitte her und sind genauso schnell weg, wie sie gekommen sind. Ich schaue mich in der Küche um und habe das Gefühl, dass an dieser Stelle nur noch eine Grundsanierung helfen würde. Ich versuche der Lage einigermaßen Herr zu werden und falle eine halbe Stunde später wieder vor meinen Rechner. Die nächsten Stunden habe ich einigermaßen Ruhe.

Am späten Nachmittag höre ich von Draußen das laute Geschrei der Kinder. Ich koche mir einen Kaffee und gehe mit meinem Tablett in den Garten. Der Himmel ist wunderbar blau, die Sonne strahlt. Das Spalierobst an der Südwand steht in voller Blüte. Die Kinder nutzen die frühlingshaften Temperaturen für eine erste Schlammschlacht mit Gartenschlauch, Maurerfass und Erde. Mein Großer hat sich aus einer alten Gasflasche einen provisorischen Schmelzofen gebaut und versucht seit Tagen seinen Traum von einem richtigen Messer in die Realität umzusetzen. Er träumt davon später einmal ein großer Waffenschmied zu werden. Der Jüngste möchte ein berühmter Youtuber werden und hat sich mit Unterstützung meines Mannes einen Fahrradparcours aus Brettern, Paletten und anderen Hindernissen auf dem Hof aufgebaut. Um diese balanciere ich mit meinem Tablett drum herum. Die Hausgemeinschaft trifft sich, wie jeden Nachmittag, seit drei Wochen. Wir trinken Kaffee, danach ein ekeliges „Spezial-Gebräu“ aus Ingwer, Zitronen und Kurkuma in der Hoffnung, dass es irgendwie eine positive Wirkung auf unsere Gesundheit hat. Wir beraten die aktuelle Lage und malen uns mögliche weitere Konsequenzen auf den weiteren Verlauf unseres Lebens aus.

Ich verlasse den Abendbrotstisch mit der Ansage, dass nun meine drei Männer alles Weitere erledigen und kündige an, dass ich mich jetzt in eins der Kinderzimmer zurückziehe, um meinen Körper beim Pilates zu quälen. Als ich auf der Matte liege, mich auf die Brustatmung konzentriere, den Beckenboden anspanne und den Bauchnabel bis zur Schulter ziehe, durchfährt der erste Bassschlag DEICHKINDS „Wer Sagt Denn Das?“ das Erdgeschoss unseres Hauses. Die Männer untermalen die häuslichen Verpflichtungen musikalisch. Konzentration aufs Wesentliche ist in dieser Situation ALLES.

Ich komme aus dem Bad, die Tagesschau hat begonnen und ich gehe bewaffnet mit Laptop und Wein ins Bett. Nun kann nur noch „Mord mit Aussicht“ den Tag abrunden. Ja auch ich liebe Routinen. Und während Muschi, Bärchen, Bärbel und Frau Haas, wie ein knisterndes Lagerfeuer im Hintergrund, ihre täglichen Routinen in Hängasch meistern, bin ich inspiriert und schreibe – dankbar für diese wunderbaren neuen Routinen – diese Zeilen.

Kommt gut durch die Zeit. Eure Frau Richtern.

Dieser Text entstand 6 Wochen nach dem völligen LockDown. Etwas noch nie dagewesenes. Wir befinden uns nun seit sechs Wochen in Corona-Isolierung. Keiner darf das Haus verlassen. Außer eben die wichtigen Leute …. die Handwerker 🙂