AUS LIEBE & LEIDENSCHAFT

Nur Meer

Augenaufschlag. Es ist noch sehr früh. Der Blick auf die Uhr lässt mich ungläubig blinzeln. So früh? Und ich bin so wach? Es ist 5:43 Uhr. Unglaublich für eine Langschläferin wie mich. Ich schnappe mir mein Handtuch und das Fahrrad und fahre ans Meer. So ein Strand am frühen Morgen hat einen ganz eigenen Charme. Nebel zieht über das Wasser, die Wellen schlagen sacht ans die kleinen Steinchen. Nur in Begleitung von ein paar Möwen setze ich meine Füße in den Sand, der zunächst weich und trocken ist und dann am Wasser fest und feucht wird. Dann und wann werden meine Füße von einer Woge Ostseewasser umspült. Warmes Wasser an meinen Füßen. Mit jeder Welle ein neuer Energieschub. Wenn dann auch noch der Spaziergang vom Finden eines Hühnergottes gekrönt wird …, welche Freude! Welche Kostbarkeit liegt in diesem Moment. Am Ende des Spaziergangs sind die Hosentaschen voll davon  ein Glückstagesbeginn.

Als ich zum Haus zurückkomme, ist noch alles still – alles schläft noch – und ich empfinde Glückseligkeit dabei, das Frühstück zu machen und meinem Mann mit einem gedeckten Tisch eine Freude zu machen, wo er doch sonst immer derjenige ist, der am Wochenende das Frühstück macht. Also sitze ich nun hier, während ich diese Zeilen schreibe, atme Brötchenduft ein, trinke meine erste Tasse Kaffee, erfreue mich an dem gepflückten Strauß aus Kornblumen und Schafgarbe vom Wegesrand und bin voller Vorfreude auf das Erwachen meiner Lieben und einen gemeinsamen Tag mit ihnen.

Soll es so nicht sein? In unserem Leben? Immer? Mein Herz ist voller Glück und ich stelle wieder einmal fest, dass es die einfachen Dinge sind, die, die überhaupt nichts kosten. Die, die sich in jedes Leben integrieren lassen. Nicht nur im Urlaub.

Wenn man ans Meer kommt
soll man zu schweigen beginnen
bei den letzten Grashalmen
soll man den Faden verlieren

und den Salzschaum
und das scharfe Zischen des Windes
einatmen und ausatmen
und wieder einatmen

Wenn man den Sand sagen hört
und das Schlurfen der kleinen Steine
in langen Wellen
soll man aufhören zu sollen
und nichts mehr wollen wollen
nur Meer.
Nur Meer.

(Erich Fried)